Aus der Perspektive eines Patientenvertreters

Für diese Ausgabe haben wir mit Kai-Roland Heidenreich gesprochen, Vorsitzender der Deutschen CF-Hilfe. Der Verein unterstützt Menschen mit Mukoviszidose (CF) und informiert über Möglichkeiten der medizinischen Betreuung. Wir haben aus der Perspektive der Telemedizin auf Versorgungsmöglichkeiten in der CF geschaut und ihn gefragt, wie sich Telemedizin und Telemonitoring für die Behandlung nutzen lässt.

Die dazu passende Podcast-Folge von „Vitamin E“ finden Sie hier: „Digitale Helfer in der Mukoviszidose-Behandlung“

ZTG GmbH (ZTG): Hallo Herr Heidenreich. Was bedeutet es denn für mich und meinen Alltag, wenn ich CF habe?

Kai-Roland Heidenreich (Vorsitzender Deutsche CF-Hilfe) © Kai-Roland Heidenreich

Kai-Roland Heidenreich (KRH): Es ist zunächst eine Stoffwechselstörung, die unbehandelt schnell zu Krankheiten führt. Besonders die Lunge kann heftig betroffen sein, steht daher im Zentrum aller Bemühungen, den Krankheitsausbruch zu verzögern. Ca. 85% aller Betroffenen haben praktisch von Anfang an eine exokrine Insuffizienz der Bauchspeicheldrüse, das heißt, sie kann zunächst nur schwer Verdauungsenzyme in den ersten Darmabschnitt geben, später hört sie praktisch auf, überhaupt noch welche zu produzieren. Enzymgabe, besonders zum Fettanteil der Ernährung ist sehr wichtig. Weil die Verdauung auch aus anderen Gründen bei CF häufig nicht so gut funktioniert, muss häufig eine hochkalorische Ernährung gewählt werden.

Es gibt eine Vielzahl weiterer Probleme, auch eine besondere Form der Diabetes gesellt sich mit der Zeit dazu. Diese Probleme können sich zum Teil auch „wunderbar“ gegenseitig aufschaukeln. Es ist also wichtig, an allen Punkten anzusetzen, systemisch zu denken.

ZTG: CF ist nicht heilbar, aber die Symptome lassen sich behandeln. Wie sieht generell eine CF-Behandlung aus?

KRH: Allein die Maßnahmen, die Lungengesundheit so gut wie möglich zu erhalten, gehen unter Umständen schnell in mehrere Stunden täglich. Dabei ist sehr auf Hygiene zu achten, denn Keime, auch Krankenhauskeime gehen besonders gerne an eine Lunge, die keine so guten Verhältnisse aufweist. Das Thema Krankenhauskeime ist übrigens ganz wesentlich, wenn man verstehen will, warum Telemedizin für Menschen mit CF so interessant ist, da kommen wir bestimmt später noch dazu.

Die Basistherapie besteht aus einer einigermaßen gut berechneten Enzymgabe zu jedem Essen sowie 2 oder 3x tgl. Inhalation mit Kochsalzlösung. Bei Patient:innen mit fortgeschrittener CF kommt es zunehmend häufig zu antibiotischen Tablettengaben, antibiotischen Inhalationen, IV-Antibiosen im Krankenhaus, Heim-IV-Antibiosen.

ZTG: Sie waren im vergangenen Jahr bei unserem Fachkongress „eHealth.NRW“. In Ihrem Vortrag haben Sie den Versorgungsnotstand im Bereich der CF-Behandlung angesprochen. Wo liegen hier die Probleme?

KRH: Seit Jahrzehnten sehe ich im Vergleich der Patienten-Rückmeldungen über viele deutsche CF-Versorger, dass viele von diesen Versorgern gefühlt „machen, was sie wollen“. Häufig werden schon die einfachsten Dinge, die in Leitlinien stehen, missachtet. Das fängt schon bei der Lungenfunktionsmessung an. Ein Großteil der kurzen Zeit, die Behandelnde ihre Patient:innen sehen, verbraucht leider die Abfrage der Routine- und Bedarfsmedikation. Der interdisziplinäre Gedanke wird auch gar nicht gelebt – obwohl er als angeblich besonderes Merkmal von CF-Ambulanzen immer wieder in den Vordergrund gestellt wird – auch in Zertifizierungsprozessen natürlich. Wir könnten uns mit diesem Thema aus meinem Erfahrungsfundus locker einen Tag lang befassen.

ZTG: Stichwort „Tele-“: Könnten hiermit einige der Probleme – nicht gelöst – aber zumindest etwas vereinfacht werden?

KRH: Für CF-Patient:innen sehe ich ganz viele ausgezeichnete Möglichkeiten. Gerade weil für sie Krankenhauskeime eine ganz besondere Gefahr darstellen, könnte man in vielen Fällen vielleicht drei der vier typischerweise im Jahr anfallenden Routinetermine per Videosprechstunde abhalten. Sauerstoffsättigung, Gewicht und auch wichtige Parameter der Lungenfunktion, allen voran der MEF25, der besonders sensibel auf Veränderungen reagiert, sowie der FEV1-Wert, lassen sich sehr gut zuhause bestimmen. Geräte und Apps gibt’s dafür. Auch Parameter des Allgemeinzustandes wie physisches und psychisches Befinden, Appetit, körperliche Belastungsfähigkeit lassen sich doch bestens aus der Ferne bestimmen.

Ein ebenso interessantes Gebiet würde ich in allen Möglichkeiten sehen, in einer Art Sechs- oder Mehraugengespräch Expertise zum Patientengespräch hinzuzuholen, wenn es besondere Probleme im Verlauf der CF gibt. Davon würde die Behandlungsqualität aus der Sicht des Patienten steigen und es käme zu einem Wissenstransfer „am lebenden Beispiel“ – besser geht’s doch gar nicht! Zugleich für die Expertisengeber:innen der Vorteil, sich mehr auf die herausfordernden „Fälle“ konzentrieren zu können. Aber sowas muss von den Kostenträgern auch ordentlich honoriert werden, sonst wird das nichts.

ZTG: Welche telemedizinischen Anwendungen werden im Bereich der CF-Behandlung genutzt?

KRH: Seit einem guten halben Jahr gibt es eine vom Innovationsfonds des Gemeinsamen Bundesausschusses geförderte multizentrische offene Projektstudie zur Telemedizin, nämlich ConneCT CF, gefördert mit 3,8 Mio. Euro für eine Laufzeit von drei Jahren, in die etwa auch eine überwachte Inhalatortherapie inkl. App integriert ist.  Einige größere CF-Versorger versuchen, eigene Systeme zu finden, ich vermag nicht zu sagen, inwieweit diese in wissenschaftliche Studien eingebettet sind bzw. werden sollen.

Kaum ein Mensch mit CF in Deutschland wird 2022 vom Erleben von Telemonitoring oder Apps oder auch Telemedizin im weiteren Sinne berichten können. Ich finde es sehr schade und mich ärgert, dass Gesundheits-Deutschland offensichtlich nicht genug tut, die Situation zu dynamisieren. Die Eintrittsschwellen sind viel zu hoch, dabei wären viele in der CF-Community durchaus experimentierfreudig und sehr kompetente Gesprächspartner:innen, wenn es um neue Tools und Apps ginge.

ZTG: Herr Heidenreich, vielen Dank, dass wir darüber sprechen konnten. Wir wünschen Ihnen und Ihrem Verein alles Gute für die Zukunft.

Herr Heidenreich hat im vergangenen Jahr auch bei unserem Fachkongress „eHealth.NRW“ gesprochen (Hier geht’s zur Aufzeichnung ab Stunde 02:27).