12. Nationaler Fachkongress diskutiert Bedarfe für die Gesundheitsversorgung

Berlin/Hagen, 20. Mai 2022 – Welche konkrete Strategie verfolgt die Ampelkoalition bei der Digitalisierung des Gesundheitswesens? Hat sie die aktuellen Bedarfe in der medizinischen Versorgung erkannt und setzt diese zukunftsgerichtet um? Und wie lassen sich innovative digitale Versorgungslösungen zügiger in die Regelversorgung einbinden? Diese und weitere Fragen diskutierten Expertinnen und Experten aus Selbstversorgung, Politik und Wissenschaft beim 12. Nationalen Fachkongress Telemedizin, der vom 19. bis 20. Mai 2022 im NOVOTEL in Berlin von der Deutschen Gesellschaft für Telemedizin e. V. (DGTelemed) in Kooperation mit dem ZTG Zentrum für Telematik und Telemedizin veranstaltet wurde. Über 130 Teilnehmende waren vor Ort.

„Mit dem Fachkongress bringen wir wichtige Akteurinnen und Akteure aus dem Gesundheitswesen zusammen auf eine Bühne und führen gemeinsam die Debatte um hoch aktuelle Bedarfe bei der Digitalisierung der Gesundheitsversorgung fort. Unser Ziel ist das gemeinschaftliche, kooperative Denken und Handeln. Telemedizin in den Versorgungsalltag zu bringen – das muss als strategische Aufgabe gesehen werden, bei der die politischen Entscheider eine wesentliche Verantwortung haben und wahrnehmen müssen“ so Prof. Dr. med. Gernot Marx, FRCA, Vorstandsvorsitzender der DGTelemed und Direktor der Klinik für Operative Intensivmedizin und Intermediate Care der Uniklinik RWTH Aachen, den 12. Nationalen Fachkongress Telemedizin.

Prof. Dr. Edgar Franke MdB, Parlamentarischer Staatssekretär im Bundesministerium für Gesundheit, gab in seiner Video-Botschaft zum Auftakt der Veranstaltung einen Einblick in die Zielsetzung der Bundesregierung: „Wir wollen die Digitalisierung im Gesundheitswesen entschlossen vorantreiben. Deshalb setzen wir uns dafür ein, dass Innovationen schnell Teil der Regelversorgung werden. Neben Telemonitoring für die Versorgung in der Kardiologie werden wir auch in anderen Bereichen telemedizinische Leistungen regelhaft ermöglichen und fördern. Dabei gilt es, TI-Anwendungen wie das eRezept, die ePA, die eAU sowie Digitale Gesundheitsanwendungen weiter in den Versorgungsprozess zu integrieren.“

Telemedizin als gemeinsame Strategie

Wie Telemedizin als strategische Aufgabe realisiert werden sollte, diskutierten im Anschluss Vertreterinnen und Vertreter der Bundesfraktionen mit Prof. Britta Böckmann (Vorstandsmitglied der DGTelemed), die in ihrer Keynote deutlich machte, dass eine Digitalisierungsstrategie vor allem eine umfassende und mit messbaren Zielen versehene Implementierung von Telemedizin in die Regelversorgung leisten muss. Alle Vertreter zeigten, dass sie den Stellenwert der digitalen Anwendungen verstanden haben und hoch ansetzen: „Die telemedizinischen Möglichkeiten stellen ein hervorragendes Bindeglied für die Herausforderungen einer qualitätsorientierten Versorgung dar, bei der es um die Bewältigung des demographischen Wandels sowohl auf Seiten der Patientinnen und Patienten, als auch der Leitungserbringer sowie der flächendeckenden Versorgung in Metropolen und ländlichem Raum geht“, so Georg Kippels, MdB, CDU-Fraktion bei der Diskussionsrunde zum Thema „Digitalisierungsstrategie für das Gesundheitswesen“. Dass besonders in strukturschwachen Gebieten Telemedizin vorteilhaft für Ärztinnen und Ärzte sowie Patientinnen und Patienten sein kann, unterstrich Matthias Mieves, Berichterstatter für das Thema Digitalisierung in der AG Gesundheit der SPD-Fraktion: „Die Telemedizin braucht einen Schub, damit ländliche Regionen besser und spezialisierter versorgt werden.“ Maximilian Funke-Kaiser, MdB, FDP-Fraktion, ergänzte: „Es geht darum, die Chancen des eHealth nutzbar zu machen und sie zu nutzen, sodass Ärztinnen und Ärzte vielfältige Möglichkeiten betrachten und zum Wohle der Patientinnen und Patienten zur Anwendung bringen und gleichzeitig telemedizinische Anwendungen gleichwertige Einsatzbedingungen erhalten. So können wir alle als Gesellschaft profitieren. Zum einen durch eine verbesserte und flexible Versorgung und zum anderen durch etablierte automatisierte Prozesse Ressourcen und Kosten sparen, ohne dabei Qualität zu vernachlässigen.“

Über allem steht dabei das Wohl der Patientinnen und Patienten. So bekräftigte Kathrin Vogler, MdB, Gesundheitspolitische Sprecherin der Fraktion Die Linke: „Die Telemedizin kann dazu beitragen, dem Ziel einer flächendeckenden medizinischen Grund- und Regelversorgung näher zu kommen und die Qualität der Versorgung durch interdisziplinäre Vernetzung, Beratung und Mitbehandlung zu verbessern. Das gelingt allerdings nur, wenn sich die Leitinteressen der Digitalisierung des Gesundheitswesens – und damit auch der Telemedizin – am Wohl und den Bedürfnissen der Patient*innen orientieren und nicht wie bisher an betriebswirtschaftlicher Effizienz und Renditen ausrichten.“ Dafür engagiert sich auch die DGTelemed. Das im Februar 2022 veröffentlichte Positionspapier „Vernetzt (be-) handeln, intersektoral vergüten“ greift Lösungsansätze für ein patientenzentriertes digitales Gesundheitswesen auf und formuliert Erwartungen an die neue Bundesregierung.

Ein wichtige Forderung des Positionspapiers bezieht sich auf den Weg in die Regelversorgung. „Großprojekte, bei denen begleitend der strukturelle Nutzen und die positiven Effekte für die Patientinnen und Patienten belegt sind, müssen zügig und verbindlich ins GKV-Versorgungssystem überführt werden. Da reicht eine Empfehlung des Innovationsausschusses keinesfalls aus, weil dabei offenbleibt, wer welche Veränderungen veranlasst“ forderte Günter van Aalst, stv. Vorstandsvorsitzender der DGTelemed.

In die Regelversorgung – aber wie?

Viele Innovationsfondsprojekte durchlaufen die Förderphase erfolgreich mit vielversprechenden Ergebnissen – und doch gelangen sie nicht in die Regelversorgung. Dabei kann die Gesundheitsversorgung von innovativen eHealth-Lösungen profitieren.

Wie es den Projekten leichter gemacht werden könnte, war Thema der Diskussionsrunde mit Projektverantwortlichen und Entscheidern aus dem Gesundheitswesen. Im Impulsvortrag erläuterte Prof. van den Berg, das im aktuellen Verfahren erst lange nach Projektabschluss Empfehlungen gegeben werden, die nicht verbindlich umgesetzt werden müssen. Notwendig ist eine projektübergreifende Begleitstruktur, in der schon während der Projektlaufzeit für die Regelversorgung relevante Hürden gemeinsam bearbeitet werden. Die Projekte können so aktiv in das Verfahren zur Überführung in die Regelversorgung eingebunden werden. Prof. Dr. Henriette Neumeyer, designierte stv. Vorstandsvorsitzende der Deutschen Krankenhausgesellschaft, stellte klar: „Projekterfahrungen und zukunftsweisende Evidenz aus den Innovationsfondsprojekten müssen systematisiert in die Regelversorgung einfließen.“ Innovative Ideen und Projekte beleben den Digitalisierungsprozess im Gesundheitswesen und treiben diesen weiter voran. Doch woran hakt es, dass solche Projekte Teil des medizinischen Versorgungsalltags werden?

„Innovationsfondsprojekte sind bereits heute Bestandteile der digitalen Transformation im Gesundheitswesen. Die neu geschaffenen, digitalen Infrastrukturen brauchen allerdings auch im Evaluationszeitraum und in der Transition in die Regelversorgung eine finanzielle Absicherung, um langfristig für das Gesundheitswesen verfügbar zu sein“, betonte Prof. Dr. Claudia Spies, Direktorin der Klinik für Anästhesiologie m. S. operative Intensivmedizin an der Charité Berlin für „ERIC Enhanced Recovery after Intensive Care“. Daneben sahen die Diskutierenden noch weitere Bedarfsfelder: „Die Patientensicherheit muss auch bei innovativen Verfahren immer an der ersten Stelle stehen. Darüber hinaus sollte das in den Innovationsfondprojekten generierte Wissen besser gebündelt werden und zeitnah allen Gruppen, die an der Versorgung von Patienten beteiligt sind, verfügbar gemacht werden“, so Dr. med. Klaus Reinhardt, Präsident der Bundesärztekammer. Im weiteren Verlauf widmete sich der Kongress dem Thema Telemonitoring, das die Versorgung von Patientinnen und Patienten mit chronischen Erkrankungen mit Hilfe des Aufzeichnens von relevanten Gesundheitsparametern und des Überwachens der Werte unterstützen kann. Die Patientinnen und Patienten können die Daten beispielsweise via App selbst aufzeichnen, diese werden an ein Telemedizinzentrum weitergeleitet. Verschlechtern sich die Werte, kann im Bedarfsfall die Medikation zeitnah angepasst werden oder die behandelnden Ärztinnen und Ärzte weitere Behandlungen durchführen.

Per Science Slam zum Telemedizinpreis

Der erste Kongresstag schloss mit der Verleihung des Telemedizinpreises. Einmal jährlich ehrt die DGTelemed mit dem Preis Institutionen, Einzelpersonen sowie interdisziplinäre Arbeitsgruppen oder Projektinitiativen für ihre innovativen Lösungsansätze im Bereich eHealth. In diesem Jahr ging der erste Preis an das Projekt OBERBERG FAIRsorgt. Ziel des Projekts ist es, den Oberbergischen Kreis mit Hilfe von Telemedizin bei der Prävention, Gesundheitsförderung, Pflege- und Versorgungsangeboten speziell für ältere Patientinnen und Patienten zu unterstützen. Der zweite Preis wurde dem Projekt TIC-PEA überreicht. Über TIC-PEA (Universitätsmedizin Mainz) können sich Behandlerinnen und Behandler sowie externe Kolleginnen und Kollegen aus der Kinderchirurgie, -anästhesie und -pneumologie per Video-Konferenzen mit nationalen Expertinnen und Experten über ihre Patientinnen und Patienten mit Ösophagusatresie austauschen. Über Platz 3 freute sich das Projekt TeleCOVID Hessen, präsentiert durch Vertreter aus dem Hessischen Ministerium für Soziales und Integration, des Klinikums Kassel und des Universitätsklinikums Frankfurt. Mittels einer App ist es möglich, alle vorhandenen Daten von Patientinnen und Patienten hochzuladen, um ein telemedizinisches Konsil durchzuführen und sich gemeinsam für oder gegen eine Verlegung der Patientin bzw. des Patienten zu entscheiden. Die Lösung soll die Kommunikation zwischen Kliniken erleichtern.