Nachgefragt bei Prof. Dr. med. Klemens Budde

In der heutigen Ausgabe unseres Newsletters “Vitamin E – Experten diskutieren mit ZTG” gibt Prof. Dr. med. Klemens Budde von der Charité Berlin einen Einblick, wie er und sein Team Patientinnen und Patienten nach einer Nierentransplantation telemedizinisch versorgen.


Eine andauernde, regelmäßige und hochspezialisierte Versorgung ist essenziell für Patientinnen und Patienten nach einer Nierentransplantation. Für eine adäquate Therapie bei einer Spezialistin oder einem Spezialisten müssen die Betroffenen lange Wege in Kauf nehmen, wenn die entsprechenden Praxen nicht wohnortnah liegen. Und das kostet Zeit, Geld und Nerven. Um diese Belastung zu reduzieren, werden Patientinnen und Patienten im Wechsel durch das behandelnde Transplantationszentrum und eine/n niedergelassene/n Nephrologin/en betreut. Die COVID-19-Pandemie verschärft die Lage weiter. Um dennoch eine lückenlose Versorgung zu gewährleisten, insbesondere auch hinsichtlich der Arzneimitteltherapiesicherheit, müssen sich die Beteiligten regelmäßig abstimmen. Das bedeutet einen hohen Kommunikationsaufwand im Arbeitsalltag. Eine telemedizinische Versorgung kann hier helfen, die Lebens- und Behandlungsqualität gleichermaßen auf hohem Niveau zu halten.

Bestes Beispiel dafür ist das Team der „Digitalen Nephrologie“ an der Charité Berlin. Wir fragen uns: Welchen genauen Ansatz verfolgt man dort? Und wie sind die bisherigen Erfahrungen von Ärztinnen und Ärzten sowie Patientinnen und Patienten? Wir freuen uns in dieser Ausgabe auf knackige Antworten von Prof. Dr. med. Klemens Budde, Schwerpunktleiter Transplantation an der Charité Berlin. Prof. Budde ist aktuell u. a. Konsortialführer des „MACCS“-Projektes, das vom Bundesministerium für Wirtschaft gefördert wird, und mit dem Telemedizinpreis 2021 der Deutschen Gesellschaft für Telemedizin e. V. (DGTelemed) ausgezeichnet wurde. (Bildquelle: Prof. Klemens Budde)

Das Interview

ZTG GmbH (ZTG): Welche Problemfelder in der Nephrologie profitieren besonders vom Einsatz telemedizinischer Anwendungen? 

Prof. Dr. med. Klemens Budde (KB): Die Nephrologie, und hier insbesondere die Versorgung von Patientinnen und Patienten nach Nierentransplantation, eignet sich sehr gut für eine digital unterstütze Versorgung: Die zur Verfügung stehenden Therapieoptionen sind in diesem Fachgebiet sehr hochpreisig und es gibt einen eklatanten Mangel an Organen. Daher ist es von hoher gesellschaftlicher Relevanz, dass wir sozusagen das Beste aus den vorhandenen Organen herausholen. Hinzu kommt, dass sich nach einer Transplantation häufig Komplikationen entwickeln, nicht selten verbunden mit häufigen Krankenhausaufenthalten. Es gilt, Komplikationen weitgehend zu vermeiden oder aber zumindest frühzeitig zu erkennen, um die Genesung der Patientinnen und Patienten zu unterstützen und erneute Hospitalisierungen zu verhindern. Natürlich muss man investieren, um diese Ziele erreichen zu können – sowohl auf finanzieller Seite, um die entsprechenden Monitoringsysteme anzuschaffen, als auch auf personeller und organisationaler Seite, da bestehende Strukturen und Prozesse in den Transplantationszentren aufgebrochen und bekannte Routinen verändert werden müssen.

ZTG: Wie funktioniert der Einsatz von Telemedizin bei Patientinnen und Patienten nach Nierentransplantation ganz konkret?

KB: Die telemedizinisch unterstützte Versorgung unserer transplantierten Patientinnen und Patienten beginnt mit dem so genannten Onboarding. Hier bekommen die Patienten zunächst ausführliche Informationen zum weiteren Vorgehen und vor allem auch zum Datenschutz. Anschließend wird eine kostenlose App auf dem Smartphone der Patienten installiert, über die die Daten an das Team der Nephrologie gesendet werden. Über einen Test wird gecheckt, ob die App reibungslos läuft – ein Mal im Krankenhaus und anschließend ein weiteres Mal, wenn der Patient schon zu Hause ist. Sobald alles funktioniert, können die Patientinnen und Patienten regelmäßig bestimmte, für die Versorgung relevante, Parameter messen und an das Transplantationszentrum übertragen, z. B. das allgemeine Befinden, den Blutdruck, das Gewicht, die Temperatur, den Blutzucker usw. Die Kolleginnen und Kollegen aus dem Telemedizin-Team im Transplantationszentrum erhalten die Daten, prüfen sie und können die Patientinnen und Patienten kontaktieren, sobald sich ein Wert nicht gut entwickelt. Auf diese Weise halten wir eine intensive Verbindung zu unseren Patienten, insbesondere in der kritischen Zeit nach dem Krankenhausaufenthalt. Ein weiterer unmittelbarer Nutzen für die Patienten: der bundeseinheitliche Medikationsplan und die Laborwerte sind direkt auf dem Smartphone gespeichert und stehen daher immer zur Verfügung.

ZTG: Können Sie anhand eines erlebten Szenarios illustrieren, wie Sie und Ihr Team einer/m Patient/in mittels Telemedizin helfen konnten?

KB: Hier hat uns, wie an so vielen Stellen, die COVID-19-Pandemie gezeigt, wie sehr Telemedizin uns bei unserer Arbeit als Nephrologinnen und Nephrologen unterstützen kann. Dadurch dass wir u. a. die Temperatur und das allgemeine Befinden der teilnehmenden Patienten abfragen, konnten wir potenziell an COVID-19 Erkrankte bei entsprechenden Werten schnell identifizieren, dementsprechend reagieren und die weitere Betreuung und Versorgung initiieren. Unsere intensive Verbindung zu unseren Patientinnen und Patienten kam uns hier sehr zugute.

ZTG: Welche Auswirkungen hat die COVID-19-Pandemie auf Ihre Arbeit?

KB: Ganz grundsätzlich war für uns, so wie vermutlich für die meisten Telemedizinprojekte und -initiativen in Deutschland, sehr wichtig, dass die COVID-19-Pandemie der Gesellschaft, den Akteuren in der Versorgung und auch den Entscheidungsträgern gezeigt hat, wie notwendig und sinnhaft eine Versorgung ist, die digital unterstützt wird. Auf der anderen Seite hat COVID-19 unsere persönlichen Kontakte mit den Patientinnen und Patienten reduziert, was den Prozess des Onboardings erschwert und verlangsamt hat.

ZTG: Häufig fehlt es nicht an guten Ideen, sondern an deren praktischen Umsetzung. Sehen Sie Stolpersteine für die Praxis?

KB: Stolpersteine für die Praxis sehe ich vor allem in zwei Punkten: erstens auf der Ebene der beteiligten Ärztinnen und Ärzte aus dem Team der Nephrologie. Die Kolleginnen und Kollegen müssen sich ganz auf die Patientenbedürfnisse einlassen. Es gibt da sehr unterschiedliche Typen von Patienten: diejenigen, die sehr selbständig arbeiten wollen, und diejenigen, die sich mehr Betreuung und Unterstützung wünschen. Da ist viel Sensibilität auf Seiten des Transplantationszentrums gefragt, um den Einzelnen bestmöglich zu versorgen, und die Drop-out-Rate so gering wie möglich zu halten. Letzteres ist wichtig für einen möglichen Übergang in die Routineversorgung. Hier sehe ich den zweiten Stolperstein: wir brauchen prospektiv randomisierte Studien, um den Nutzen einer solchen telemedizinischen Anwendung klar darstellen zu können. Aus diesem Grund haben wir uns mit genau so einer Studie für eine Förderung aus dem Innovationsfonds beworben, in der Hoffnung, dass in Zukunft viele Transplantationszentren diese Form der Versorgung anbieten können.

ZTG: Wo besteht seitens der Entscheidungsträger noch Handlungsbedarf? 

KB: Also was die DiGA angeht, sind wir wohl weltweit führend, wenn es darum geht, qualitätsgesicherte Anwendungen in die Routineversorgung zu bekommen. Wie gesagt hat uns COVID-19 gesamtgesellschaftlich die Möglichkeiten der digital unterstützten Versorgung schätzen lernen lassen. Allerdings habe ich die Sorge, dass uns die Pandemie mit leeren Kassen, insbesondere auf Seiten der Krankenkassen, zurücklässt. Das kann dazu führen, dass zukünftig weniger Gelder für innovative Versorgungsformen bereitgestellt werden. Aber genau das benötigen wir: den Willen zur Investition, gegebenenfalls auch schon bevor sich erste positive Ergebnisse nachweisen lassen.

ZTG: Was wünschen Sie und Ihr Team sich für die Zukunft? 

KB: Zunächst einmal wünschen wir uns ganz schnell ein Ende der COVID-19-Pandemie und eine Rückkehr zum „Normalen“. Ansonsten hoffen wir sehr, dass unsere gelebte Digitale Nephrologie und die telemedizinische Versorgung bald auch Patientinnen und Patienten in anderen Transplantationszentren zugutekommen kann. Nicht zuletzt hoffen wir daher auf eine positive Antwort auf unseren Antrag um Fördermittel beim Innovationsausschuss.

Wir drücken Ihnen und Ihrem Team die Daumen, Herr Prof. Budde. Wir danken Ihnen ganz herzlich, dass Sie sich trotz Ihres vollen Krankenhausalltags Zeit für das Interview mit uns genommen haben.

 

Über die digitale Plattform MACCS (kurz für Medical Allround-Care Service Solutions) soll die Versorgung chronisch kranker Patientinnen und Patienten im häuslichen Umfeld optimiert werden. Herzstück ist eine intensive und zeitgemäße Kommunikation und Dokumentation. Das Projekt wurde in der Zeit von 2016 bis 2019 vom BMWi gefördert. Anschließend konnte ein Selektivvertrag nach §140 a SGB V mit der AOK Nordost und der Techniker Krankenkasse abgeschlossen werden. Seitdem wird die MACCS-Plattform in der Routine als eine zusätzliche telemedizinische Versorgung von Patienten nach Nierentransplantation eingesetzt. Die Initiative soll nun schrittweise auf andere Organtransplantationsempfänger und seltene Erkrankungen ausgedehnt werden. Einen kurzen Film zum Projekt finden Sie hier.