„Auftakt für Team Interop“: So lautete das Motto des 6. Deutschen Interoperabilitätstags (DIT), der vom 25. – 26. Oktober 2021 als Online-Event stattfand. Vor dem Hintergrund der neuen Gesundheits-IT-Interoperabilitäts-Governance-Verordnung (GIGV) diskutierten namhafte Expertinnen und Experten aus Politik, Wirtschaft und Selbstverwaltung den Weg zu einer interoperablen IT-Vernetzung im Gesundheitswesen. Sie appellierten an eine fächerübergreifende Zusammenarbeit und warben für offene internationale Standards und einheitliche Terminologien, die am zweiten Tag – dem sogenannten „Community-a-thon“ – auch praktisch erprobt wurden. Veranstalter des DIT waren Bundesverband Gesundheits-IT – bvitg e. V., HL7 Deutschland e. V., Spitzenverband IT-Standards im Gesundheitswesen (SITiG ), IHE-Deutschland e. V. und die ZTG Zentrum für Telematik und Telemedizin GmbH.

 

Interoperabilität ist Teamwork

„Gerade im Digitalbereich, in dem es große Ökosysteme gibt, könnte man sich die Frage stellen: Ist Interoperabilität überhaupt noch wichtig? Wir sind der Überzeugung: dies ist mehr denn je der Fall. Denn die Komplexität in unserem Gesundheitswesen ist sehr groß. Da geht es nicht nur darum, dass Systeme zusammenspielen, sondern eben auch der Teamgedanke zählt, also dass Menschen im Gesundheitswesen zusammenarbeiten können, im optimalen Fall auf Basis von technischer Interoperabilität“, eröffnete Dr. Samrend Saboor, IHE-Deutschland e. V., den 6. DIT.

Für Teamgeist sprach sich auch Dr. Sarah J. Becker, Co-Founder und Managing Partner der Institute for Digital Transformation in Healthcare GmbH, in ihrer anschließenden Keynote „Gemeinsam digitale Transformation gestalten“ aus. Es gehe um Teilhabe, um gegenseitiges Kennen und Anerkennen, um Vertrauen. „In diesem Spielfeld regeln wir, wie wir zusammenarbeiten wollen. Sehr bald werden wir interoperabel in einem Datenraum alle miteinander verbunden sein. Ich möchte auf den Weg geben, dass wir fragen, was es braucht, um jeden Einzelnen mitzunehmen, damit wir einen funktionierenden Datenraum der Gesundheit gestalten können.“

Prof. Dr. med. Jörg Debatin (hih) gab Informationen zur neuen GIGV. (Foto: ZTG GmbH)

Daran knüpfte auch die zweite Keynote von Prof. Dr. med. Jörg Debatin, Chairman des health innovation hub (hih) des Bundesgesundheitsministeriums (BMG), an. Debatin nahm Bezug zu der Koordinierungsstelle der gematik, die durch die Regelung des GIGV aktiv werden soll und mit Hilfe verschiedener Institutionen und Expertinnen und Experten Standardisierungsexpertise an einer Art „rundem Tisch“ zusammenbringen möchte: „Das Ziel ist klar definiert: Mehr Gesundheit durch mehr Effizienz, mehr Produktivität und mehr Qualität. Natürlich muss dieses dann münden in konkrete Anwendungen“, so Prof. Debatin. Den Anfang für diese Vorhaben bildet der Messenger-Dienst „Kommunikation im Medizinwesen“ (KIM), die elektronische Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung, digitale Gesundheitsanwendungen (DiGA) und die elektronische Patientenakte (ePA).

Brückenschlag für die Zukunft

„Digitalisierung ist für uns eine Brücke in die Zukunft“, so Christian Klose vom Bundesministerium für Gesundheit (BMG). „Bei diesem Brückenbau spielt die Interoperabilität eine entscheidende Rolle als großer entscheidender Pfeiler für die Digitalisierung des deutschen Gesundheitswesens. Aktuell sind wir noch zu sehr in kleinen Insellösungen verhaftet. Das müssen wir aufbrechen. Wir müssen Interoperabilität stärker verbreiten bei gleichzeitig stärkerer technischer Ausstattung.“ Dabei gehe es auch darum, weg von Partikularinteressen zu kommen, so Klose. „Wir brauchen viel mehr Miteinander und müssen uns immer vor Augen führen, dass der Patient im Zentrum unseres Handelns steht.“

V.l.n.r.: Susanne Koch (bvitg e. V.), Hannelore König (Verbund medizinischer Fachberufe e. V.) und Jessica Birkmann (medatixx) diskutierten über Bedarfe der einzelnen Akteurinnen und Akteure bei der Digitalisierung des Gesundheitswesens. (Foto: ZTG GmbH)

 

Welche Bedarfe darüber hinaus offen sind und woran es aktuell noch hakt, darüber debattierten die Teilnehmenden der anschließenden Diskussionsrunde unter dem Motto des ersten Themenblocks: „Druck auf dem Kessel – Roadmap für die Interoperabilisierung des Gesundheitswesens“. Zum Teil herrsche noch Unsicherheit bei der Digitalisierung, wie Hannelore König vom Verband medizinischer Fachberufe e. V. sagte. Die Belastung sei hoch, alle geplanten Maßnahmen zeitlich umzusetzen. Dabei sei die Digitalisierung im Gesundheitswesen dringend notwendig. Es sei derzeit noch erschwert, alle betroffenen Berufsgruppen dabei mitzunehmen. Aus der Perspektive der Krankenhäuser mangele es derzeit an ausreichend Personal und technischer Ausstattung, um die Digitalisierung flächendeckend umzusetzen, gab Katja Kümmel vom Universitätsklinikum Münster zu bedenken. Auch fehle es an breiter Aufklärungs- und Informationsarbeit. Christian Klose betonte in seinem anschließenden Fazit, dass im Zuge von „Digitale Gesundheit 2025“ mit allen involvierten Verbänden und Organisationen ein legislaturübergreifender Dialog geführt worden sei, der zum Ziel habe, die Bedarfe der einzelnen Stakeholder zu berücksichtigen und umzusetzen.

Christian Klose (BMG, links) sprach mit Sebastian Zilch (bvitg e. V.) darüber, wie sich die Digitalisierung des Gesundheitswesens für die Zukunft gestalten lässt. (Foto: ZTG GmbH)

Wie Interoperabilität auf der technischen Seite weiter voranschreiten kann, verdeutlichte der zweite Themenblock, der auf die Bedeutung von Terminologien fokussierte. Denn um Interoperabilität gemeinschaftlich zu denken, braucht es eine gemeinsame Sprache. So bedarf es beispielsweise der Implementierung von SNOMED CT, der umfassendsten und wichtigsten medizinischen Terminologie, mit einer deutschsprachigen Übersetzung, sagte Dr. Carina Vorisek von der Charité Berlin. Den Anfang dafür habe das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) ermöglicht, durch dessen Initiative SNOMED CT und LOINC in der Bundesrepublik kostenfrei für alle Nutzerinnen und Nutzer verfügbar sind. Außerdem brauche es Standards, wie zum Beispiel HL7 FHIR, um den komplexen Datenaustausch im Gesundheitswesen durch ein einheitliches Dateiformat zu erleichtern.

GIGV: Aufbau eines transparenten Wissensnetzes

Thomas Süptitz vom Bundesministerium für Gesundheit ging detaillierter auf die neue GIGV ein. „Die Verordnung, die auf dem Digitale-Versorgung-und-Pflege-Modernisierungs-Gesetz (DVPMG) fußt, greift im Wesentlichen drei Punkte auf: zum einen die Koordinierungsstelle Interoperabilität, die über die gematik eingerichtet wird und Bedarfe sowie Anforderungen nach Standardisierung mit internationaler Orientierung identifizieren und realisieren soll. Diese Standards sollen des weiteren von einem interdisziplinären Expertengremium definiert werden. Als dritten Schritt soll das vesta-Verzeichnis weiter entwickelt werden hin zu einer Wissensplattform, die nicht nur als Werkzeug dient, um die verschiedenen Expertenarbeitskreise zusammenzuführen, sondern auch Standards-Leitfäden transparent und verbindlich macht. „Uns ist es wichtig, Standards so zu implementieren, dass wir fit für die Zukunft sind“, betonte Süptitz. Steffen Hennecke von der gematik ergänzte: „Wir haben eine strategische Interoperabilitäts-Roadmap vor uns. Der gesamte Prozess soll transparent und auf Augenhöhe sein. Es geht darum, dass wir gemeinsam Entscheidungen treffen und gemeinsam effizient vorankommen. Dabei wollen wir die gesamte Expertise des deutschen Gesundheitswesens und darüber hinaus einbinden. Das Ergebnis soll eine Wissensplattform sein, bei der jeder nachvollziehen kann, wie die Zusammenhänge sind.“ Am 10. Dezember 2021 veranstaltet die gematik den IOP Summit (virtuell), um mehr Details zur IOP-Roadmap zu kommunizieren und Interessierte die Möglichkeit bekommen, sich zu beteiligen.

Bei dem Vorhaben spielen auch die Medizinischen Informationsobjekte (MIOs) eine entscheidende Rolle. Sie sollen, so Kerstin Bieler von der mio42 GmbH der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV), als Informationsbausteine von jedem System im Gesundheitswesen interpretierbar sein und dadurch den Austausch und die Datenverarbeitung zwischen Akteurinnen und Akteuren des Gesundheitswesens erleichtern. Damit digitalisierte Inhalte verwertbar und nachvollziehbar sind, müssen sie interoperabel gestaltet werden. So sind die Inhalte der ePA beispielsweise auch MIOs. Für die ePA 2.0 sollen Mutterpass, U-Heft, Impfpass und zahnärztliches Bonusheft eingeführt werden. Die voraussichtliche bundesweite Nutzung der MIOs in der Praxis startet am 1. Januar 2022.

Der 6. DIT schloss mit der Frage, wie wir von heute für morgen lernen können. Dabei könnte über Apps, Webseiten, Portale oder Fragebögen die Kommunikation von patientenzentrierten Inhalten und Informationen zwischen Arzt und Patient aufrechterhalten werden, gab Prof. Dr. Dr. Melanie Börries vom Universitätsklinikum Freiburg als Impuls. „Forschung soll einen direkten Impact auf die Versorgung haben“, ergänzte Prof. Dr. Dagmar Krefting vom Institut für Medizinische Informatik der Universitätsmedizin Göttingen und stellte das im Jahr 2020 im Zuge der Pandemie und im Rahmen der Medizininformatik-Initiative (MI-I) gegründete Netzwerk Universitätsmedizin (NUM) vor. Ziel von NUM ist, Unikliniken zusammenzubringen und Best Practices zu entwickeln, um die Pandemie gemeinsam besser bewältigen zu können. Forschung und Versorgung müssen stärker fusionieren, damit letztlich die Gesundheitsversorgung verbessert werden kann. Im Zuge dessen wurden im Jahr 2021 bereits sieben Fortschrittshubs aufgebaut, welche ebenso den Fokus auf interoperablen Austausch legen.

In einer Abschlussrunde zogen die Veranstalter Bilanz zu „Team Interop“. Prof. Dr. Sylvia Thun, HL7 Deutschland e. V. und Spitzenverband IT-Standards im Gesundheitswesen (SITiG), zeigte sich erfreut: „Ich habe den Eindruck, dass alle einstimmig gesagt haben, wie wichtig Interoperabilität ist. Wir alle wollen dasselbe: nämlich verbesserte Patientenversorgung und vor allem Patientensicherheit.“ Dr. Kai U. Heitmann, HL7 Deutschland e. V. und hih health innovation hub, ergänzte: „Wir wollen weg von einer royalen Interoperabilität hin zu einer Community-getriebenen Interoperabilität, bei der Transparenz eine Rolle spielt. Gesetzlich wurde uns der Rahmen gegeben, nun ist es an der Zeit, die Vorhaben mit Leben zu füllen.“ Sebastian Zilch vom Bundesverband Gesundheits-IT – bvitg e. V., zog ebenfalls ein positives Resümee: „Beim Thema Interoperabilität ist viel in Bewegung. Noch ist nicht alles perfekt. Nichtsdestotrotz oder genau deswegen soll jetzt auch eine Koordinierungsstelle die Arbeit aufnehmen. Aber die Projekte, die Bereitschaft und erste Ideen sind da, genauso wie erste digitale Anwendungen greifbar verfügbar. Das Teamwork ist nicht vorbei, es fängt gerade erst an.“

Der zweite Tag des 6. DIT richtete sich am 26. Oktober 2021 mit dem Community-a-thon an Interessierte, die gemeinsam Interoperabilität praktisch „erproben“ wollen und bot einen praxisnahen Tag mit Workshop-Charakter.